Warum viele Menschen den Frühling hassen

Raus an die frische Luft - schließlich zwingt uns der Frühling dazu

"Frühling lässt sein blaues Band / Wieder flattern durch die Lüfte..." Was der deutsche Romantik-Dichter Eduard Mörike anno 1829 als Beschreibung eines an sich nicht uninteressanten Naturphänomens zu Papier brachte, bestimmt mittlerweile als lustvolle Massenhysterie für ein paar Wochen unser Dasein: das sogenannte Frühlingserwachen, bisweilen auch Frühlingslust genannt.

Die Menschen drehen grundlos durch. Recken ihre bleichen Gesichter und Gliedmaßen in die ersten Sonnenstrahlen. Packen ihre Laufschuhe, Fahrräder und Cabrios aus, stehen vor Eisdielen Schlange, drängen in Straßencafés und Biergärten, während von unten noch die Winterkälte ins Zentrum der Gefühle aufsteigt. So richtig lustig ist das weiß Gott nicht. Und es gibt durchaus gute Gründe, den Frühling zu fürchten, ja sogar: ihn zu hassen.

1. Die Frühjahrsmüdigkeit

Eigentlich klärt sie uns über unsere wahre Stimmungslage auf. Während wir in hektische Aktivitäten verfallen wollen, signalisiert unser Körper eine inhaltlose Mattigkeit, auch Frühjahrsmüdigkeit genannt. Die Körperbotschaft lautet schlichtweg: Du hast zu nichts Lust! Die Ausgelassenheit und hormonelle Zielstrebigkeit, die uns noch an Karneval tage- und nächtelang umhertrieb, ist wie weggeblasen.

Der Endokrinologe Prof. Helmut Schatz sieht in der so genannten Frühjahrsmüdigkeit sogar "depressive Stimmungslagen, die dann rauskommen, wenn im Frühling alle rausgehen und gutgelaunt sind". Schatz sagte in einem "Spiegel"-Interview, dass es sich dabei um "einen Überhang an Melatonin aus der dunkleren Zeit" handele. Allerdings sei dieses Phänomen nach zwei Wochen wieder weg. Und wenn nicht, droht laut Prof. Schatz eine unterschwellige Depression.

2. Der Frühjahrs-Heuschnupfen

Alles blüht so schön? Von wegen! Die Blüh- und Flugzeit von Pollen der Birke, Buche und Weide ist für jeden vierten Deutschen die reinste Qual: Er oder sie wird von Heuschnupfen geplagt. Niesattacken, tropfende Nase, rote und geschwollene Augen. Wie sollen da Frühlingsgefühle aufkommen?

3. Der Fitness-Wahn

Jeder macht und tut. Jeder, der den Wintersport überlebt und sich nicht ein Bein gebrochen hat. Joggen, Radeln, Walken - Hauptsache, man ist fit für die warme Jahreszeit und kann es auch zeigen. Spazier- und Wanderwege gleichen Autobahnen für Bewegungssüchtige. Besinnliche Naturbegegnungen werden auf den übervölkerten Frühlingspisten im Keim erstickt.

4. Die Zeitumstellung

Am 29. März werden die Uhren wieder um eine Stunde vorgestellt. Das heißt: Wir stehen um sieben Uhr auf, obwohl es eigentlich erst sechs Uhr ist, nur damit es am Abend eine Stunde länger hell bleibt. Geht's noch?!

5. Der Hormonschub?

"Veronika, der Lenz ist da, die Mädchen singen tralala..." Und dann? Die Damen trällern, die Herren baggern und alle sind im Liebessrausch. Oder? Dass die Sexualhormone im Frühling verrückt spielen und man sich deswegen verliebe, hält Prof Helmut Schatz für "ein Ammenmärchen. Die Hormone sind seit Millionen von Jahren reguliert. Sie spielen nicht verrückt, auch nicht im Frühling. Die Geschlechtshormone haben nichts mit Verliebtsein und Turteln zu tun."

Wer jetzt noch unbelehrbar ist, sollte die letzten Zeilen von Mörikes Gedicht lesen: "Horch, von fern ein leiser Harfenton! Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen." Da ist entweder Haschisch im Spiel - oder eine Lebenslust, die gerade mal wieder überschwappt.