Kleidung leihen statt kaufen: Die “Kleiderei” im Interview

Warum noch ständig shoppen gehen, wenn wir unsere Lieblingsteile doch auch untereinander tauschen können? Mit ihrer "Kleiderei", einem Laden, in dem sich Fremde für einen Beitrag von 14 Euro im Monat Kleidung wie bei Freunden leihen können, haben die beiden Hamburger Studentinnen Thekla Wilkening und Pola Fendel den Nerv einer ganzen Generation getroffen. Im Interview mit Yahoo! Lifestyle erzählen sie von ihrem Sharing-Projekt, das hohe Wellen geschlagen hat.

Aus welchem Gedanken heraus ist die "Kleiderei" entstanden?
Pola Fendel: Alles fing mit einem Gedanken an, den wohl jedes Mädchen schon einmal hatte: "Hilfe, ich habe nichts zum Anziehen!" Und das obwohl der eigene Kleiderschrank eigentlich randvoll ist. Ich habe mich dann dabei ertappt, dass ich in die Stadt gefahren bin, um noch schnell etwas für den Abend zu kaufen. Solche Kurzschlusshandlungen, die am Ende meistens in Fehlkäufen enden, wollen wir mit unserer "Kleiderei" minimieren.

Wie viel Konsumkritik steckt letztendlich in dem Projekt?
Fendel: Wir kritisieren den Überkonsum - obwohl bei uns natürlich auch übermäßig viel geliehen werden könnte. Wir wollen zum Nachdenken anregen. Die Leute sollen sich fragen: "Wie viel muss ich eigentlich wirklich besitzen oder was kann ich mir auch einfach leihen?" Ich selbst habe angefangen mehr Second Hand zu kaufen - einfach weil das nachhaltiger ist. Außerdem gehe ich regelmäßig auf Flohmärkte, stöbere dort. Gebrauchtes hat für mich keinen geringenen Wert als Neues. Nur hin und wieder möchte ich auch mal etwas ganz neu kaufen. Das ist dann aber in der Regel ein hochwertigeres Teil - etwas, das ich zum Beispiel schon lange haben wollte oder das einfach etwas Besonderes ist und das ich deshalb auch lange tragen werde.

Wilkening: Im Grunde ist es Kritik an der Wegwerfgesellschaft. Daran etwas zu kaufen und es dann nur ein- oder zweimal zu tragen.

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Welchen Einfluss hat die "Kleiderei" auf das eigene Konsumverhalten?
Wilkening: Angefangen hat es damit, dass wir für die "Kleiderei" unsere eigenen Kleiderschränke ausgeräumt haben. Als die am Ende vergleichsweise leer waren, war das schon ein komisches Gefühl, aber man merkt dabei auch, was man wirklich braucht - und wie viel man schon seit Jahren nicht mehr angezogen hat.

Fendel : Wir werden oft gefragt, ob es nicht schwierig war, sich von so vielen unserer Klamotten zu trennen. Aber bis auf ein paar Teile, mit denen wir persönliche Erinnerungen verbinden und die wir deshalb nicht weggeben würde, ist es im Grunde ganz leicht. Von einem schwarzen Acne-Kleid, das mein Freund mir mal geschenkt hat, wollte ich mich zum Beispiel nicht trennen. Allgemein würde ich keine Geschenke verleihen wollen.

Wilkening: Letztendlich ist unser Kleiderschrank durch die "Kleiderei" ja nur gewachsen. Man hat eine viel größere Auswahl als vorher. Der Unterschied ist der, das man sich Sachen, die man vielleicht ohnehin nur ein- oder zweimal angezogen hätte, nicht mehr kauft, sondern bei uns leiht. Und einen privaten Kleiderschrank haben wir beide ja immer noch zu Hause - die Menge darin hat sich nur verringert.

Wer hat noch Teile für die "Kleiderei" gespendet?
Fendel: Tatsächlich kommen häufiger Leute zwischen 16 und 80 Jahren vorbei, die etwas spenden wollen, weil sie einen Bericht über uns in der Zeitung gelesen haben. Die wollen dann zwar nicht unbedingt Mitglied werden, finden aber unser Projekt toll und unterstützen uns gerne. Gerade jetzt sitzen wir schon wieder auf einem ganzen Berg an Teilen, die aufgehangen werden müssen.

Wilkening: Die Mutter einer Freundin kam mit drei Kisten bei uns an.

Fendel: Ich habe in der Menge eine Art "Chanel"-Kostüm entdeckt. Kostüme trage ich eigentlich nicht so, aber dank der "Kleiderei" bietet sich allen die Möglichkeit, Neues und Ungewohntes auszuprobieren, Sachen auszuführen, die man wahrscheinlich niemals kaufen würde. In Versuchung, ein Teil aus der "Kleiderei" in meinen privaten Kleiderschrank zu hängen, war ich noch nie. Das Gefühl, etwas ausleihen zu können, wenn es mir gefällt, reicht völlig.

Was für Leute kommen in die "Kleiderei", um etwas auszuleihen?
Wilkening: Das sind ganz verschiedene Menschen. Letztens war eine Gruppe Mädels da, die sich für einen Geburtstag einkleiden wollten. Die kamen sogar noch mal wieder, um etwas zu tauschen, weil die eine Bluse dann doch besser passte als die andere.

Fendel: Toll ist es auch, dass das passiert, worauf wir gehofft hatten: Die Leute leihen ganz verschiedene Stile aus und sind auf nichts Besonderes fixiert.

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Gibt es trotzdem ein Teil, das besonders begehrt ist?
Wilkening: Einen schwarzen, flauschigen Cashmerepulli mit weitem Ausschnitt wollen irgendwie alle haben. Der hing ursprünglich mal in Polas Kleiderschrank.

Fendel: Ich selbst habe den auf einem Flohmarkt gekauft und dann nur einmal getragen, weil er mir dann doch nicht so gut stand. Dass die Leute unsere verschmähten Teile neu entdecken, sie ausleihen, mit nach Hause nehmen und sich total darüber freuen, sie zu tragen, macht uns natürlich glücklich.

Wie sieht es aus, wenn jemand ein allgemeines Lieblingsstück wie den Cashmerepulli kaufen will und beispielsweise 200 Euro dafür anbietet?
Fendel: Ich denke nicht, dass so etwas passieren würde. Aber gerade ein Teil, das alle toll finden, muss auf jeden Fall im Laden bleiben. Da bereitet es schließlich vielen verschiedenen Leuten eine Freude. Wenn wir irgendwann einmal Platzprobleme bekommen, dann denken wir vielleicht noch mal darüber nach, ob wir einzelne Teile nicht doch verkaufen, aber aktuell sind alle Stücke aus der "Kleiderei" unverkäuflich.

Gehen die Leute verantwortungsbewusst mit den geliehenen Stücken um?
Wilkening: Bisher war alles gut. Die Sachen werden pünktlich zurückgebracht und sind frisch gewaschen. Manchmal bringen unsere Mitglieder sogar direkt welche von ihren eigenen Sachen für die "Kleiderei" mit.

Was geschieht, wenn die Mietfrist für den aktuellen Standort der "Kleiderei" abläuft?
Fendel: Eigentlich wollen wir unbedingt weitermachen. Vielleicht können wir sogar etwas länger bleiben, mal sehen.

Wilkening: Vielleicht machen wir auch eine "Kleiderei" in Berlin auf, da haben wir beide viele Freunde. Aber wir wollen ja nicht größenwahnsinnig werden.