Depression: Warum Frauen häufiger erkranken

Es ist traurig aber wahr: Frauen erkranken weltweit doppelt so häufig an Depressionen wie Männer. Eine Tatsache, die in unserer Gesellschaft offenbar bereitwillig akzeptiert wird. Doch was sind die Gründe für das erhöhte weibliche Risiko? Welcher Persönlichkeitstyp ist besonders gefährdet und wie können Frauen verhindern, in die Depressionsfalle zu tappen? Wir haben bei einer Expertin nachgefragt.

Frauen erkranken doppelt so häufig an Depressionen wie Männer (Foto: Thinkstock)
Frauen erkranken doppelt so häufig an Depressionen wie Männer (Foto: Thinkstock)

Diplom-Psychologin Ursula Nuber ist stellvertretende Chefredakteurin von "Psychologie heute". In ihrem aktuellen Buch „Wer bin ich ohne dich?" (Campus Verlag, 19,99 Euro) beschreibt sie krankmachende Einflüsse in unserem sozialen Umfeld, die Depressionen auslösen können.

Frau Nuber, warum haben Frauen im Gegensatz zu Männern ein doppelt so hohes Depressionsrisiko?

Eine Depression ist eine Stresskrankheit. Da Frauen mehr und anderem Stress ausgesetzt sind als Männer sind sie deutlich häufiger von Depressionen betroffen. Was Frauen stresst, sind Beziehungen zu anderen Menschen. Neben Job und Haushalt kümmern Frauen sich permanent um andere - deutlich mehr als Männer das tun. Frauen sorgen für Kinder, Freunde, alte Eltern und für ihren Partner und wollen immer alles perfekt machen.

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Viel mehr als Männer sind Frauen zudem davon abhängig, dass diese zwischenmenschlichen Beziehungen harmonisch verlaufen. Tun sie das nicht - sind beispielsweise die Kinder in einer schwierigen Phase oder läuft die Partnerschaft nicht rund - suchen viele Frauen sofort die Schuld bei sich: Hätten sie nur mehr Zeit für die Kinder, dann wäre die Stimmung in der Familie besser. Wären sie schlanker, hübscher oder klüger würde ihre Beziehung besser laufen. Das ist fatal und setzt eine bedenkliche Spirale in Gang.

Das klingt nach einem ungesunden Auftakt. Wie dreht sich die Spirale weiter?

Je weniger Nähe, Zuwendung, Verständnis und Anerkennung gefährdete Frauen bekommen, desto mehr bemühen sie sich darum. Das bedeutet in der Praxis: Diese Frauen erhöhen ihren Einsatz! Sie sind noch netter, noch rücksichtsvoller, noch hilfsbereiter und vernachlässigen dabei immer mehr ihre eigenen Bedürfnisse.

Vor allem unterdrücken sie aber ihre negativen Impulse - ihre Wut, ihren Ärger, ihre Aggressionen und Enttäuschungen. Die betroffenen Frauen sind der Meinung, sie dürften ihre wahren Gefühle nicht zeigen, weil eine harmonische Beziehung zu anderen wichtiger ist als sie selbst. Der Preis dafür ist allerdings hoch: Diese Frauen verlieren den Kontakt zu sich selbst.

Welchem Stress sind Männer ausgesetzt? Wieso erkranken Männer daran weniger häufig als Frauen?

Wenn Männer Stress haben, dann meist im Job oder mit den Kollegen. Das wirft sie aus zwei Gründen nicht sofort aus der Bahn: Erstens stellen sich Männer bei Problemen als Person selbst nicht in Frage und zweitens können sie meist mit jemandem darüber reden - nämlich mit ihrer Partnerin.

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Bei Frauen zeichnet sich ein anderes Bild: Gibt es bei ihnen z.B. Ärger im Job, suchen Frauen immer erst die Schuld bei sich selbst. Außerdem können die wenigsten Frauen wirklich gut mit ihrem Partner über sich und ihre Probleme reden. Während Frauen anderen Zuwendung geben, bekommen sie selbst oft zu wenig Aufmerksamkeit.

Welcher „Typ Frau" ist besonders gefährdet?

Besonders gefährdet sind Frauen, die aus Angst vor einem Beziehungsverlust nicht wagen, Grenzen zu setzen, „nein" zu sagen und ihren berechtigten Ärger, ihre Enttäuschung oder auch ihre Wut nicht offen zeigen. Eine Frau, die zumindest eine vertrauensvolle Beziehung zu einem wichtigen Menschen hat, ist vor Depressionen schon besser geschützt als eine Frau, die niemanden zum Reden hat. Im Idealfall ist die wichtigste Bezugsperson der Partner, aber auch eine enge Freundin oder ein Verwandter können einer betroffenen Frau Halt geben.

Was sind die ersten Symptome einer Depression?

Da gibt es die psychosomatischen Symptome wie Rückenschmerzen, unerklärliche Schmerzen am ganzen Körper, ständige Migräne oder tiefe Erschöpfung. Hinzu kommen psychische Symptome: Betroffene Frauen können keine Freude mehr empfinden. Sie schlafen schlecht und selbst kleinste alltägliche Dinge wie Haare waschen oder einkaufen gehen werden zur großen Last.

Wie lange dauert es, bis sich eine Depression entwickelt und bis eine Frau letztlich dazu steht?

Das kann unter Umständen sehr lange dauern, denn viele Frauen nehmen sich zusammen, schlucken Medikamente, essen oder trinken zu viel und gehen Tag für Tag über ihre Grenzen. Erst wenn sie gar nicht mehr können, holen sie Hilfe.

Was können Frauen im akuten Fall und als Vorbeugung tun, damit die Depression nicht ihr Leben bestimmt?

Im akuten Fall sollten Frauen fachmännische Hilfe holen und einen Therapeuten aufsuchen. Vorbeugend sollten Frauen es wagen, Klartext zu reden! Sie müssen sich trauen, zu ihren Gefühlen zu stehen und ihre Bedürfnisse klar zu artikulieren. Man verliert nicht gleich seinen Partner oder die beste Freundin, wenn man einmal anderer Meinung ist.

Und vielleicht sollten sich Frauen auch etwas von Männern abgucken, wenn es um ihre seelische Gesundheit geht: Männer praktizieren einen gesunden Egoismus und fahren gut damit. Sie fragen „Was nützt mir?". Frauen hingegen fragen eher „Wie kann ich nützlich sein?" Frauen sollten aufhören, es möglichst allen recht machen zu wollen. Sie sollten in erster Linie darauf achten, dass es ihnen selbst gut geht!