Sind Ohrlöcher für Babys in Ordnung?

Das Ohrlochstechen liegt in Deutschland nach wie vor im Trend. Sogar an Babys und Kleinkindern geht das nicht spurlos vorüber. Viele Mütter entscheiden sich stellvertretend für ihre Kinder für diesen Ohrschmuck und drängen ihren Babys dabei ihre Vorstellung von Schönheit auf. Schmerz, Tränen und eine Bevormundung der Kinder nehmen sie dabei in Kauf.

Dürfen Mütter das? Ab welchem Alter können Kinder mitentscheiden? Wie schmerzhaft ist das für die Kleinen? Welche Risiken gibt es? Eine Kinderärztin und ein Juwelier klären auf:

Muss ein Säugling schon Ohrstecker haben? (Foto: ddpimages)
Muss ein Säugling schon Ohrstecker haben? (Foto: ddpimages)

Kultureller Hintergrund
30 bis 60 Mütter und ihre Kinder kommen in einem Monat allein in das Münchner Juweliergeschäft von Andreas Wieland, mit dem Wunsch, dem Nachwuchs Ohrlöcher stechen zu lassen. Darunter auch Babys, die erst wenige Wochen alt sind. „Wir stechen Ohrlöcher ab dem Zeitpunkt, ab dem es die Eltern für richtig halten", erklärt der Geschäftsführer von Juwelier Wieland.

Für Eltern aus slawischen Ländern sei es ganz normal, dass schon Säuglinge Ohrringe trügen, erzählt er. „Diesen kulturellen Hintergrund akzeptieren wir, so lange gewährleistet ist, dass wir die Löcher sauber stechen können. Schreit oder zappelt das Kind, brechen wir ab."

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„Das ist Körperverletzung!"
Dr. Brigitte Schwager ist Kinderärztin in Nürnberg und findet klare Worte: „Für mich ist das Körperverletzung! Ein Kind in diesem Alter ist nicht einwilligungsfähig. Eltern dürfen nicht so massiv in das Leben ihres Kindes eingreifen." Babys verstehen nicht, was auf sie zukommt. Sie spüren plötzlich einen heftigen Schmerz, den sie nicht einordnen können und der häufig für viele Tränen sorgt. Das sollten Eltern immer bedenken.

„Erst ab 14 Jahren kann man Kindern eine bewusste Entscheidung zutrauen", sagt Dr. Schwager. „In diesem Alter sind Jugendliche in der Lage Für und Wider abzuwägen und eine eigene Entscheidung zu treffen."

Kleine Kinder haben keine Angst
Der Alltag sieht allerdings anders aus. Schon aber drei Jahren sind die Kinder die treibende Kraft und quengeln häufig so lange, bis die Eltern endlich nachgeben. Das ist die jahrelange Erfahrung von Andreas Wieland in seinem Juwelier-Geschäft.

Wie sich so ein Picks anfühlt, kann man den Kleinen nur schwer erklären. Sie sehen nur die hübschen Ohrringe, die sie bald tragen werden. Das bestätigt auch der Münchner Juwelier: „Bei jüngeren Kindern ist es einfacher, Ohrlöcher zu stechen und das Ganze in ein kleine Zeremonie einzubinden. Ältere Kinder haben bereits eine Erwartungshaltung und ein Bewusstsein für den Schmerz, der auf sie zukommt. Dann wird es schwieriger."

Ohrlöcher können beim Juwelier, Piercer oder einigen Kinderärzten gestochen werden. Bis 18 Jahre brauchen Kinder und Jugendliche in jedem Fall die Einverständniserklärung ihrer Eltern. Auch die Technik sollte vorab besprochen werden.

Gerade an Ohrhängern bleibt die Kleidung schneller hängen. (Foto: Thinkstock)
Gerade an Ohrhängern bleibt die Kleidung schneller hängen. (Foto: Thinkstock)

Neue Schiebetechnik
Seit einigen Jahren gibt es in vielen Juwelier-Geschäften eine neue Methode. Das Ohrloch wird nicht mehr mit einer Pistole und einem lauten Knall geschossen, der die Kinder häufig zusätzlich erschreckte.

Jetzt gibt es einen Schiebemechanismus: Der Ohrring wird per Hand durch das Ohr geschoben. Dabei entsteht ein sauberer Stich. Im Vergleich zu einem Piercing wird hier kein Gewebe entfernt. Beim Münchner Juwelier Wieland werden die Ohrlöcher bei Kindern mit Hilfe dieser Technik gleichzeitig von zwei Mitarbeiterinnen gestochen — jede sticht an einem Ohr.

„So hat das Kind nur einmal den Schreck und den Schmerz", erklärt der Geschäftsführer. Allerdings muss auch er zugeben: „Natürlich gibt es immer wieder Kinder, die weinen. Viele stecken den Einstich aber gut weg und freuen sich über ihren neuen Schmuck."

Risiken und Gefahren
Auch wenn der erste Schreck oft schnell vorbei ist, sollte man sich Gedanken über mögliche Risiken machen. Juwelier Andreas Wieland betont, dass es in seinem Geschäft kaum Probleme gibt: „Die Ohrstecker sind aus Chirurgenstahl und werden bis zum Gebrauch in der Verpackung absolut steril gehalten.

Beim Ohrlochstechen werden die Ohren vorab desinfiziert und unsere Kunden bekommen ein Ohrloch-Antisept zur Nachbehandlung." Doch trotz aller Hygiene: Kleine Kinder haben kein Gespür für den Fremdkörper in ihrem Ohr. Einige zupfen und zerren daran herum und das oft mit schmutzigen Händen.

„Es besteht immer die Gefahr einer Infektion. Gerade am Ohr ist das häufig langwierig und tut höllisch weh", weiß Kinderärztin Dr. Schwager. Auch beim An- und Ausziehen kann die Kleidung hängen bleiben und das Ohrloch einreißen und sich entzünden. In ganz schlimmen Fällen könnte der Ohrring auch ausreißen. „Wenn das Ohrläppchen komplett durchreißt, muss es genäht werden", sagt die Nürnberger Kinderärztin, aber sie bestätigt auch, dass das eher die Ausnahme ist.

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