Shades of Grey, Hyddenworld, David Foster Wallace, Stephen Greenblatt: Aktuelle Buch-Kritiken

Shades of Grey, Hyddenworld, David Foster Wallace, Stephen Greenblatt
Shades of Grey, Hyddenworld, David Foster Wallace, Stephen Greenblatt

SCHECK EMPFIEHLT:

William Horwood: Hyddenworld: Der Frühling (Deutsch von Klett-Cotta, Klett-Cotta, 527 S. 22,95€)
Der Brite William Horwood hat schön skurille Bücher über Wölfe, Adler und Maulwürfe geschrieben. In diesem Roman arbeitet Horwood mit einer zwar geläufigen, hier aber grandios umgesetzten Prämisse: dass die Menschen der Moderne blind und taub geworden sind für alles Wesentliche, worauf es im Leben ankommt. Mit köstlichem Detailreichtum schildert William Horwood ein parallel zur Menschenwelt lebendes, europaweit verbreitetes kleines Volk, die Hydden. Ihre Städte und Dörfer existieren im Verborgenen unter, hinter und neben und manchmal auch über den menschlichen Siedlungen — nur nehmen wir Menschen sie nicht wahr, weil wir uns längst auf das Ausblenden des Wunderbaren in unserem mundanen Alltag trainiert haben. So fremd die Hydden auf den ersten Blick anmuten: In ihren politischen Intrigen, emotionalen Begierden, ihren Wünschen und Sehnsüchten sind sie überaus real und mit uns in ihrer Triebstruktur engstens verwandt. Im Auftaktband erzählt Horwood mit gutem Gespür für einprägsame Landschafts­schilderungen von einer uralten Prophezeihung und der Geburt eines Wunderknaben in der Hyddenwelt, der die totalitäre Herrschaft der finsteren Fyrds bedroht. Nicht die erste gute Geschichte über einen versuchten Kindermord.

Stephen Greenblatt: „Die Wende" (deutsch von Klaus Binder, Siedler Verlag, 352 S. , 24.99 €)
Wie die Welt durch die Wiederentdeckung einer antiken Schrift entscheidend verändert wurde, schildert der Amerikaner Stephen Greenblatt in seinem mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Sachbuch "Die Wende." Packend wie ein Krimi erzählt er von einem „Bücherjäger" namens Poggio Bracciolini, der Privatsekretär von Baldassare Cossa alias Papst Johannes XXIII und dessen Leidenschaft der Literatur der teilweise vergessenen Römer und der Griechen galt. In vermufften Klosterbibliotheken nördlich der Alpen macht sich Poggio Bracciolini auf die Suche nach bislang unentdeckten Handschriften und findet 1417 vermutlich irgendwo im heutigen Hessen eine Abschrift von Lukrez' "De rerum natura". Dieses aus dem ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung stammende Lehrgedicht über die Natur der Dinge ist ein Schlag ins Gesicht des herrschenden Christentums. Lukrez' Schrift wird zu einem entscheidenden Auslöser dessen, was spätere Jahrhunderte die Renaissance nennen werden: die Wiederentdeckung der Antike. Sie enthält Botschaften, für die nicht wenige in der Zukunft auf dem Scheiterhaufen landen werden: Dass die Welt aus Atomen besteht. Dass der Kosmos keinen Schöpfer hat. Dass die Seele genau so sterblich ist wie der Körper und dass es daher auch kein Leben nach dem Tod gibt. Dass die Menschen weder einzigartig sind noch dass sich das Universum um sie dreht. Dass Religionen ein grausamer organisierter Schwindel sind. So fesselnd wie wie Umberto Ecos "Der Name der Rose" schildert der Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt das Leben des fanatischen Bücherjägers Poggio Bracciolini, der miterleben musste, wie "sein Papst" auf dem Konzil in Konstanz abgesetzt wird, der in der Kirche "eine Jauchegrube menschlicher Laster" und in Klöstern "Werkstätten von Verbrechern" sieht. "Ich muss alles versuchen, um es zu etwas zu bringen, damit ich nicht länger Herren zu Diensten sein muss und Zeit habe für Literatur", schreibt Poggio zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Ein Ehrgeiz, den Leser des 21. Jahrhunderts mit Greenblatts Helden teilen werden.

David Foster Wallace: Das hier ist Wasser (Deutsch von v. Ulrich Blumenbach. Kiepenheuer und Witsch, 64 Seiten, 4,99 Euro)
Dieser kleine Text ist eine 2005 gehaltene Rede aus Anlass der Abschlussfeier eines Colleges in Ohio. So dürftig sich die Textmenge ausnimmt, so groß ist das literarische Gewicht dieses Bändchens. Es erinnert daran, worin die Größe des durch Selbstmord aus dem Leben geschiedenen David Foster Wallace lag: in seinem unbedingten Anspruch auf Wahrhaftigkeit gepaart mit Unerschrockenheit und einem gewissen Größenwahn, der auch darin bestehen kann, dort weiterzugehen, wo man lieber stehenbleibt. In „Das hier ist Wasser" kann man den Moralisten David Foster Wallace entdecken, der sich Gedanken darüber macht, wie man wohl die egoistische Standardeinstellung („default setting" im ebenfalls abgedruckten amerikanischen Originaltext) überwinden und ein weniger selbstsüchtiger Mensch werden kann. Eine Anleitung zum Unglücklichsein, gewiss, aber auch ein Trost.

SCHECK RÄT AB:

E. L. James: Shades of Grey: Geheimes Verlangen (Deutsch von Andrea Brandl und Sonja Hauser, Goldmann, 603 S. 12,99 €)
Endlich mal wieder ein Anlass für Trendsport Nummer eins in Deutschland: literarisches Fremdschämen! Die geistige Ödnis dieses an der amerikanischen Westküste angesiedelten Softpornos um einen Unternehmer mit SM-Vorlieben und eine noch jungfräuliche Literaturstudentin wird nur von der Brache seines Stils übertroffen. Es geht in diesem Roman weder um Sex noch um Unterwerfungssehnsüchte oder Kontrollträume. Im Mittelpunkt steht einzig die intellektuelle Entlastungssehnsucht aller, die mit der Komplexität der Moderne überfordert und seit der Aufklärung unter dem „Mir-ist-das- alles-irgendwie zuviel"-Syndrom leiden. „Wärst du meine Sub, bräuchtest du nicht darüber nachdenken. Es wäre alles ganz einfach", wirbt der millionenschwere Christian Grey um die 21-jährige Anastasia. „All die Entscheidungen, die ermüdenden Überlegungen und Grübeleien, die damit verbunden sind. Diese Frage, ob es auch wirklich das Richtige ist. Ob es wirklich jetzt passieren soll. Und hier. Über all das müsstest du dir keine Gedanken mehr machen, weil ich als dein Dom das für dich übernehmen würde." Man kann sich auch als Leser entmündigen.