Optimismus: Zuversicht oder Selbsttäuschung?

"In 30 Tagen Optimist", "Anleitung zum Zukunfts-Optimismus" oder "Optimistisch denken" — wer rosig in die Zukunft schauen will, kann sich über mangelnde Ratgeberliteratur wahrlich nicht beklagen.

Kein Wunder, schließlich ist Optimismus mit nahezu ausschließlich Positivem verknüpft: Wer dem, was kommt, optimistisch entgegen blickt, dem wird auch Gutes widerfahren, so die landläufige Gleichung.

Der deutsche Dramatiker, Schriftsteller und Regisseur Heiner Müller hingegen sah das etwas anders und befand "Optimismus ist nur ein Mangel an Information". Dass er damit gar nicht so falsch lag, darauf deuten auch die Ergebnisse diverser Studien hin, die zeigen, dass viele Menschen dazu neigen, die Realität "optimistisch zu verzerren", indem sie Negatives einfach ausblenden.

Ein zuversichtlicher Blick in die Zukunft wirkt sich positiv auf das Wohlbefinden aus. Deshalb wollen wir auch daran festhalten (Bild: thinkstock)
Ein zuversichtlicher Blick in die Zukunft wirkt sich positiv auf das Wohlbefinden aus. Deshalb wollen wir auch daran festhalten (Bild: thinkstock)

Gut zu wissen: Komplimente machen glücklicher als Süßes und Sex

Keine Frage, Optimismus ist im Grunde eine feine Sache und seine positive Wirkung konnte in zahlreichen Studien belegt werden: So zeigte sich beispielsweise, dass Optimisten besser mit Stress umgehen und diesen bewältigen können als Pessimisten und auch in Genesungsprozessen bewies Optimismus eine förderliche Wirkung.

Forscher der Duke University im amerikanischen North Carolina konnten zudem zeigen, dass optimistisch gestimmte Menschen dank positiver Erfolgserwartungen tendenziell mehr arbeiten und somit auch mehr verdienen.

Optimismus scheint also derart funktional zu sein, dass der Großteil der Menschen seine rosige Sicht auf die Dinge nur höchst ungern aufgeben möchte. Frei nach dem Motto "Das passiert doch immer nur den anderen" werden Zukunftsaussichten weitaus positiver eingeschätzt als Statistiken dazu Anlass geben.

In der Wissenschaft wird dieses Phänomen "Optimismus Bias" oder "unrealistischer Optimismus" genannt — eine optimistische Verzerrung, die sich in der Diskrepanz zwischen der eigenen Bewertung und der Realität äußert.

Wie sehr die Wahrscheinlichkeit des Eintretens positiver Ereignisse in sämtlichen Lebenslagen überschätzt wird, konnte auch die britische Neurowissenschaftlerin und Psychologin Tali Sharot vom University College London zeigen.

In der Studie mit dem Titel "How unrealistic optimism is maintained in the face of reality", die im November 2011 in der Fachzeitschrift "Nature Neuroscience" veröffentlicht wurde, präsentierten Sharot und Kollegen den Probanden 80 negative Ereignisse — von einer Krebserkrankung bis zu einem Raubüberfall — und baten sie dann, die Wahrscheinlichkeit anzugeben, mit der ihnen selbst so etwas passieren könnte.

Anschließend wurde den Teilnehmern die durch Statistiken untermauerte tatsächliche Wahrscheinlichkeit mitgeteilt, verbunden mit der Bitte, eine erneute Risikobewertung dieser Ereignisse vorzunehmen. Die Auswertung zeigte, dass die Einschätzungen bei 80 Prozent der Teilnehmer stärker für solche Ereignisse korrigiert wurden, wenn die tatsächliche statistische Prognose positiver ausfiel als sie es selbst angenommen hatten.

Interessanterweise blieb die entgegengesetzte Korrektur der Ereigniseinschätzung aus: Negative Informationen — wie eben die größere Wahrscheinlichkeit, beispielsweise an Krebs zu erkranken — werden mehr oder weniger schnell wieder verdrängt.

Diese Tendenz zeigt sich auch auf neuronaler Ebene, wie die Studie außerdem zeigen konnte: Durch die Messung der Gehirnaktivität konnte eine verstärkte Aktivierung des Stirnlappens sichtbar gemacht werden, wenn die Information, in diesem Fall die statistische Ereigniswahrscheinlichkeit, als positiv vom Probanden bewertet wurde.

Der Blick durch die rosarote Brille: Viele Menschen tendieren dazu, negative Informationen auszublenden (Bild: thinkstock)
Der Blick durch die rosarote Brille: Viele Menschen tendieren dazu, negative Informationen auszublenden (Bild: thinkstock)

Diese also eher selektive Wahrnehmung und Informationsverarbeitung ist jedoch auch durchaus dienlich, indem sie dazu beitragen kann, Angst oder Stress zu vermindern, Zuversicht in die eigenen Fähigkeiten zu stärken oder vor lähmenden Zweifeln zu bewahren.

Doch wichtig scheint auch hierbei — wie so oft — das Maß der optimistischen Verzerrung zu sein, denn wo eher pessimistisch gestimmte Menschen sich zu viele Gedanken darüber machen, welche negativen Ereignisse eventuell eintreten könnten, scheinen sich ausgemachte Optimisten hingegen oftmals nicht genug zu machen.

Der Grat zwischen Zuversicht und Leichtsinn kann mitunter schmal sein. So machen Tali Sharot und Kollegen in ihrem Artikel auch auf die mögliche Kehrseite der Medaille aufmerksam, denn unerschütterlicher Optimismus geht nicht selten Hand in Hand mit zu geringer Risikoeinschätzung. Er könne dazu führen, dass Menschen beispielsweise ihre Altersvorsorge oder das Thema Verhütung zu sehr auf die leichte Schulter nehmen.

Doch ein Abgesang auf den Optimismus dürfte der Forschung fernliegen. Vielmehr sollen Studien wie diese zeigen, dass auch ein gemäßigter Pessimismus — entgegen seines schlechten Rufes — in manchen Situationen durchaus eine Daseinsberechtigung haben kann, indem er uns beispielsweise vor Fehlentscheidungen oder gar Gefahren bewahrt.

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