Stressfaktor Hausaufgaben

Nach der Schule entbrennt in vielen Familien ein täglicher und wohlbekannter Krisenherd: Die Hausaufgaben stehen auf dem Programm und sollen am besten noch vor dem Arzttermin oder der Reitstunde erledigt sein. Die Eltern machen Druck, die Kinder trotzen. Statt Spaß am Lernen gibt es Streit, Frust und Tränen. Wie es auch anders gehen kann, verrät Lerntrainer Wolfgang Endres.

Der tägliche Frust  mit den Hausaufgaben (Foto: Thinkstock)
Der tägliche Frust mit den Hausaufgaben (Foto: Thinkstock)

Der Anfang fällt vielen Kindern schwer
Lernmethodiker Wolfgang Endres hat eine Vermutung, wieso sich das Thema „Hausaufgaben" in vielen Familien regelmäßig zu einem Eltern-Kind-Drama entwickelt: „Viele Kinder finden den Einstieg in die Hausaufgaben nicht. Sie wissen nicht so recht, wie und wo sie anfangen sollen. Vielleicht haben sie in der Schule etwas nicht verstanden oder es gab eine unangenehme Situation, die sie noch immer belastet. Auch die Fülle der zu bewältigenden Aufgaben erschlägt manche Schüler regelrecht."

Das alles motiviert ein Kind nicht. Deshalb trödelt es, ist unkonzentriert und lustlos. Wenn die Mutter dann zu viel Druck ausübt und permanent meckert: „Jetzt fang doch endlich an!" ist der Streit vorprogrammiert. Auch Drohungen wie z.B. „Wenn Du Deine Hausaufgaben nicht fertig hast, kannst Du die Geburtstagsparty vergessen!" sind kontraproduktiv, weiß der Experte. Negativ wirke sich auch aus, wenn sich die Eltern überhaupt nicht für die Hausaufgaben interessieren und die Mühe der Kinder nicht wertschätzen.

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Hausaufgabenzoff wird oft zum Beziehungskonflikt
In den seltensten Fällen liegt dem Streit um die Hausaufgaben ein Verständnisproblem zu Grunde. „Fast immer sind es Beziehungskonflikte mit den Eltern", erklärt Wolfgang Endres. Ein Grund könnte die Berufstätigkeit der Eltern sein. Vor allem arbeitende Mütter haben oft ein schlechtes Gewissen, sich aus Zeitgründen nicht genug in das Schulleben ihrer Kinder einbringen zu können.

Statt Theaterkostüme für die Schulaufführung zu nähen oder den Weihnachtsbazar zu organisieren, sitzen sie im Büro. Über die Hausaufgaben-Kontrollen wollen diese Mütter dann Anteil am Schulleben ihrer Kinder nehmen. „Schnell wird aus den Hausaufgaben ein zu großes Thema gemacht. Die Eltern fühlen sich vielleicht besser, aber das Kind ist genervt", sagt Wolfgang Endres.

Wie Sie es schaffen, dass Ihr Kind wieder Spaß an den Hausaufgaben hat und sich der Dauerkonflikt entschärft, weiß Lerntrainer Wolfgang Endres:

10 Experten-Tipps: So können Sie Ihr Kind bei den Hausaufgaben unterstützen:


1. Interessieren Sie sich für den Prozess, nicht für das Ergebnis

Kontrollieren Sie nicht immer nur das Ergebnis und machen Sie dann Ihr Kind auf seine Fehler aufmerksam. Das sorgt für schlechte Stimmung! Fragen Sie lieber: „Wie ist es gelaufen? Wo hattest Du Schwierigkeiten? Wie bist Du zu diesem Ergebnis gekommen? Dadurch sind Sie mit Ihrem Kind im Gespräch. Ihr Sohn oder Ihre Tochter fühlen ihre Mühe gewürdigt und Sie als Eltern sind darauf vorbereitet, dass die Aufgabe für Ihr Kind möglicherweise schwierig war. Auch wenn das Ergebnis letztendlich falsch ist, können Sie Ihr Kind für seine Ausdauer loben.

2. Begrenzen Sie Ihre Anwesenheit
Wenn Sie sich von Anfang bis Ende bei den Hausaufgaben zu Ihrem Sprössling setzen, wird Ihr Kind Sie möglicherweise bei jeder Kleinigkeit um Rat fragen. Mit Grundschülern, die oft noch die Nähe zu ihren Eltern brauchen, kann man klare Absprachen treffen: „Du machst jetzt diesen Aufgabenblock, dann komme ich wieder dazu." Größere Kinder sollten die Hausaufgaben besser in einem anderen Raum machen.

3. Ermöglichen Sie Ihrem Kind einen festen Arbeitsplatz
Es ist sehr wichtig, dass Ihr Kind einen Platz hat, der nach „Hausaufgaben riecht" und mit dem es nichts anderes verbindet. Wenn Ihr Kind kein eigenes Zimmer hat oder noch zu klein ist, um in einem anderen Zimmer Hausaufgaben zu machen, dann besorgen Sie ihm eine Schreibunterlage, die es jeden Tag auf den Esstisch legt, um darauf die Hausaufgaben zu erledigen.

Eltern sollten ihre Anwesenheit begrenzen (Foto: Thinkstock)
Eltern sollten ihre Anwesenheit begrenzen (Foto: Thinkstock)

4. Regen Sie die Denkprozesse Ihres Kindes an
Beantworten Sie die Frage Ihres Kindes nicht sofort, sonst gewöhnt es sich an diese bequeme Methode und wird denkfaul! Greifen Sie erst einmal die Frage auf und wiederholen Sie diese noch einmal. Meistens kommen die Kinder beim Nachfragen der Eltern und beim Erklären des Sachverhaltes selbst auf die Lösung. „Setzen Sie diesen Prozess öfter in Gang", rät Wolfgang Endres.

5. Übertragen Sie Ihrem Kind die Verantwortung für seine Hausaufgaben
Wenn Ihr Sohn sagt „Ich möchte erst zum Fußball-Training, danach schreib ich den Deutsch-Aufsatz", dürfen Sie als Mutter Ihre Bedenken äußern, aber lassen Sie ihn gehen! Ist Ihr Sohn nach dem Training müde, schreibt er einen schlechten Aufsatz. „Wegen eines vergeigten Deutsch-Aufsatzes ist die Schulkarriere Ihres Kindes nicht in Gefahr", beruhigt der Lern-Coach.

Aber Ihr Sohn hat etwas Wichtiges gelernt: Nach dem Fußballspiel ist er für den Aufsatz nicht mehr fit. Falls er das aber bis zum nächsten Mal vergessen hat, kann, darf und soll die Mutter ruhig 'anordnen': 'Du machst deine Hausaufgaben vorher, du weißt, dass du hinterher zu müde bist!'"

Will die Mutter den Sohn ohne seine eigene Erfahrung dazu drängen, erst die Hausaufgaben zu erledigen und dann zum Training zu gehen, wird es jedes Mal eine Auseinandersetzung geben.

6. Achten Sie auf die Zeitbedürfnisse Ihres Kindes
Finden Sie heraus, wann für Ihr Kind der beste Zeitpunkt zu lernen ist. Braucht es nach der Schule erst einmal Ruhe? Will es die Hausaufgaben möglichst schnell hinter sich bringen? Oder muss es sich erst austoben? Um im Beispiel von Punkt 5 zu bleiben: Vielleicht finden Sie ja sogar heraus, dass sich Ihr Sohn nach dem Fußball-Training besonders gut konzentrieren kann!

7. Schaffen Sie eine positive Lernumgebung
Ihr Kind muss sich an seinem Arbeitsplatz wohlfühlen. Dazu braucht es erst einmal einen freien Schreibtisch mit Platz für die Schulsachen. Außerdem sollte es sich den Arbeitsplatz so einrichten, dass es seine Zeit gerne dort verbringt: Vielleicht stellt es ein Foto, oder eine Urlaubspostkarte darauf oder das Lieblingskuscheltier muss in Sichtweite sein.

„Positiv wirkt sich auch aus, wenn Ihr Kind eine gute Erfahrung, die es an diesem Tag in der Schule gemacht hat, aufschreibt und wie ein kleines Erfolgssymbol auf den Tisch legt", sagt Lerntrainer Wolfgang Endres. „Ihr Kind muss spüren: Hier bin ich gerne, hier kann ich arbeiten." Handy, Musik und Fernsehen sind beim Hausaufgaben machen allerdings tabu.

8. Zeigen Sie Ihrem Kind, wie es sich einen Überblick verschaffen kann

Was ist heute zu tun? In welcher Reihenfolge gehe ich meine Hausaufgaben an? Diese beiden Fragen muss Ihr Kind jeden Tag aufs Neue für sich beantworten. Wenn Ihr Kind geistig so durch die zu bewältigenden Aufgaben geht, teilt es einen großen unüberschaubaren Brocken in kleine Teile.

Ihr Kind geht Aufgabe für Aufgabe durch und wird Dingen begegnen, auf die es nicht so viel Lust hat. Es wird aber auch auf Aufgaben stoßen, bei denen es denkt: „Das kann ich! Das macht mir Spaß!" So wird die Einstellung zu den Hausaufgaben insgesamt ausgewogener.

9. Klären Sie die Erwartungshaltung der Lehrer

Sprechen Sie mit den Lehrern Ihres Kindes, was diese von Ihnen als Eltern von der Hausaufgaben-Kontrolle erwarten: Sollen die Eltern Falsches gleich mit dem Kind verbessern oder regelt das der Lehrer in der Schule? Steht bei einem Aufsatz in der Grundschule die Fantasie oder die Rechtschreibung im Vordergrund?

10. Lassen Sie Richtzeiten festlegen
Wenn Sie mit den Lehrern sprechen, fragen Sie sie nach den Richtzeiten für einzelne Aufgaben: In welcher Zeit soll ein bestimmter Aufgabenblock geschafft werden? Oft verzetteln sich Kinder und haben kein Zeitgefühl. Das macht sich dann in Klassenarbeiten negativ bemerkbar.

Die Kinder empfinden den Zeitdruck als zusätzlichen Stressfaktor. Gibt es aber Richtwerte für die einzelnen Blöcke, kann man das Zeitmanagement mit den Kindern trainieren.

Wolfgang Endres ist Lernmethodiker in St. Blasien und Autor zahlreicher Lern-Trainer (Beltz-Verlag), z.B. für die 1./2. Klasse: Arbeitshefte „Lernen lernen - Leitfaden für Eltern", für die Klassen 3/4/5: „Besser Konzentrieren - 44 Ausdauer Tipps" und ab der 5. Klasse aufwärts: „111 starke Lerntipps".

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