Das Fashion-Comeback der goldenen Zahnspange

Ich bin ein selbsternannter Schmuck-Junkie. Ob Strass, zarte Goldarmbänder oder schwere Statement-Halsketten – in meiner heimischen Schatztruhe findet sich alles, was das Herz eines leidenschaftlichen Schmuckträgers begehrt.

Einmal habe ich sogar ein zusätzliches Ohrloch stechen lassen, nur damit ich einen einzelnen Ohrring aus der Schmuck-Schatulle meiner Großmutter tragen konnte. Ich habe beinahe jeden Schmuck-Trend ausprobiert. Ich trug Zehenringe und diese engen, schwarzen Plastik-Halsketten in Tattoo-Optik in den 90er Jahren, und lange Perlenketten und große Kreolen nach der Jahrtausendwende. Neuerdings trage ich Midi-Ringe und Statement-Ohrringe. Trotzdem gibt es noch eine Stelle, an der ich noch genug Platz habe, Schmuck zu tragen – in meinem Mund. Für die meisten Menschen sind Zahnspangen kein Schmuck, obwohl die raffinierte Handwerkskunst und die edlen Materialien da eine andere Sprache sprechen. „Grills" sind eine Art schmückende Zahnspange, die in den USA auch „Goldies“ genannt werden. Es gibt sie eigentlich schon seit Jahrtausenden. Auch in alten Kulturen schmückte man sich bereits mit dekorativen Steinen die Zähne. Sogar heute noch werden in Kulturen der entlegeneren Amazonas-Regionen die Zähne mit goldenen Kronen verziert, um Gruppenzugehörigkeit und Stammesidentität widerzuspiegeln.

Der jüngste sich wiederholende Trend der Popkultur greift den auffälligen Mundschmuck nun abermals auf. Mit Gold und Steinen besetzte Grills finden sich in Promi-Mündern von Madonna bis Miley wieder und wie jeder echte Schmuck-Fanatiker, wollte ich diesen Trend mitmachen. Und so landete ich schließlich in einem kleinen Studio im zweiten Stock über dem hektischen Treiben der Fulton Street Mall in Brooklyn. Der Name „Undergroundgrillz“ , der von seiner ursprünglich unterirdischen Lage inspiriert wurde, ist ein Unternehmen, das sich auf handgefertigte Zahn-Schmuckwaren spezialisiert hat und den interessantesten und kreativsten Zahnschmuck anfertigt. Der Besitzer, Jean Midi, produziert seit seinen späten Teenager-Jahren die hochwertigsten Grills, und hat sogar schon für Stars wie Madonna oder Dr. Oz den glitzernden Zahnschmuck kreiert.

„Beiß die Zähne zusammen und schieb deine Lippen über die Form", sagte man mir. „Mmm, hmmm“, murmelte ich, als ich meine Zähne in der zähflüssigen Masse versenkte. Ein paar Minuten später wurde die Form entfernt und ich war auf bestem Wege, stolze Besitzerin eines nagelneuen Grills zu werden.Die Popularität der Grills stieg in den 80er und 90er Jahren, als unzählige Rapper und Hip-Hop-Künstler sie zur Schau trugen. Seitdem ist Jean im Geschäft. In letzter Zeit hat er allerdings einen deutlichen Anstieg der Nachfrage festgestellt. Verantwortlich dafür scheint die aktuelle modische Neuinterpretation der 90er Jahre zu sein. „Bei uns werden Grills mit Kreativität und Mode assoziiert", sagt er. Dem scheint das Mode-Volk zuzustimmen. Kim Kardashian trug die Klammern auf dem Cover des CR Fashion Books, das von der französischen Vogue-Chefredakteurin Carine Roitfeld herausgegeben wurde. Cara Delevingne stellte sie ebenfalls bereits stolz zur Schau und auch Chartstürmerin Beyoncé ließ ihre unteren geschmückten Schneidezähne in ihrem Video zu „Yoncé“ großzügig hervorblitzen.

„Wir sind mit Hip Hop aufgewachsen", sagt Alain Gilles, der Geschäftsführer des Ladens. „Der Stil von Jay Z und Biggie hat uns inspiriert.“ Allerdings sind es vor allem die nicht-prominenten Kunden, von denen sich das Undergroundgrillz inspirieren lässt, von denen mittlerweile fast 70 Prozent weiblich sind. „Unsere Kunden sind ganz normale Leute, die Mode lieben und schätzen, was wir hier machen", sagt Gilles, als er behutsam meinen kleinen Zweizahn-Grill einrasten lässt. Danach betrachte ich mich im Spiegel, lächele und gebe einen Freudenschrei von mir, als ich das schimmernde Gold in meinem Mund sehe. An solch unerwarteter Stelle Schmuck zu tragen, fühlt sich beinahe berauschend an.Also nehme ich das Schmuckstück zum Testen mit nach Hause. Ich habe das Gefühl, eine goldene Zahnspange zu tragen, aber ich fühle mich auch irgendwie fantastisch dabei. Die Frauen in meinem Nagelstudio bemerken den Grill, und ich lächele ein wenig länger als üblich. Später treffe ich mich mit ein paar Freundinnen um ihnen meine neueste Errungenschaft zu zeigen.

„Hmm", sagt eine von ihnen, während sie den Kopf schief legt und mich anstarrt. „Es ist auf jeden Fall interessant.“Ich versichere ihr, dass das richtige Styling dazu noch einen großen Unterschied machen wird. „Stell es dir mit roten Lippen, glatten Haaren, und einem komplett schwarzen Outfit vor." „Ja, vielleicht ...", sagt sie. Am nächsten Abend beschließe ich ein passendes Outfit zu meinem Grill anzuziehen, was sich schwieriger gestaltet als erwartet. Kleidung von  J. Crew ist zu adrett, Teile von Steven Alan sehen zu sehr nach Bohème aus. Schließlich schlüpfe ich in ein Top von Reformation und in ein paar alte, abgeschnittene Jeans, bevor ich mir meinen Grill einsetze.

Am zweiten Tag habe ich mich schon ein wenig an den Grill gewöhnt, und bin mir meines 24- Karat-Lächelns gar nicht mehr ständig bewusst. Beinahe  habe ich komplett vergessen, dass ich ihn im Mund habe, als ich beginne, mich mit der Freundin eines Freundes zu unterhalten. Als ich sie dann auf mein neuestes Accessoire aufmerksam mache, meint sie zu mir, dass der Versuch, neue Trends auszuprobieren nicht einfach ist. „So etwas braucht Mut!“, sagt sie zu mir. Ich hatte vergessen, wie viel Spaß ich beim Experimentieren mit neuen Accessoires immer gehabt habe. Selbst in einer Stadt wie New York, wo Selbst-Ausdruck fast eine Grundvoraussetzung ist, hatte es mich zuvor in eine Routine jenseits von jeglichen modischen Risiken versetzt. Mein neuer Grill reißt mich wieder aus dieser Routine heraus. Er lässt mich anders über meine Outfits denken, belebt meine Neugier auf Mode und gibt mir vor allem einen Grund zum Lächeln.

Von Kate Hindin